14. Dezember 2020| KERAMIK

Kleines Feuer - Teil 4

Eine Geschichte von Roland Giefer

Falls noch nicht gelesen, hier geht`s zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3

Von all dem war momentan nichts zu sehen. Der ganze Raum lag in dunklen Rauchschwaden und die Neonröhren an den Wänden vermochten die Umgebung kaum zu erhellen. Es war ein wenig dämonisch und das unheimliche „Fausen“ aus den Abzügen in der Ofendecke, die zur Zügelung noch halb mit Steinen abgedeckt waren, verstärkte diese fast bedrohliche Atmosphäre. An den Seiten des Ofens befanden sich im Abstand von einem Meter mehrere Schaulöcher. Von hier aus  konnte man schräg nach unten einen Blick in das Ofeninnere werfen und man sah den Fortgang des Brandes. An diesen Stellen wurden beim Ofensetzen auch die Segerkegel zur Temperaturmessung und die Korscherben platziert. Die Schaulöcher waren mit quadratischen Steinplatten verschlossen, die auf einem kleinen Absatz der  Außenwand des Ofens angelehnt ruhten und so einfach zur Seite weggeschoben werden konnten. Mit einem Stück Holz schob ich nun den Stein des hintersten Schaulochs, also am Ende des Ofens von der Feuerung aus gesehen (dort wo das Schild ist) beiseite und schaute in das Ofeninnere. Alles war noch tiefschwarz und das war auch gut so, denn ich hatte ja noch sieben Stunden vor mir.

Historisches Bild von Steinzeugkrügen vor einem Kannenofen aus der Erzählung Kleines Feuer von Roland Giefer
©Museum für Stadtgeschichte

Zurück im Schlondes war es wieder ruhig. Während meiner Abwesenheit im  Ofenhaus war das Feuer runtergebrannt und es wurde Zeit nachzulegen. Sofort flackerte das Feuer wieder auf und man vernahm das Knacken und Knistern der aufbrennenden Scheiter. An deren Schnittenden dampfte zischend die Restfeuchte hinaus und bildete schaumige Blasen. Die abgebrannte Glut fiel als Funkenregen durch das Rost in die Aschengrube. Es war ein eintöniges Spiel, das plötzlich auf seltsame Weise seine Romantik verlor und in Langeweile umschwenkte. Jetzt mochte man sich gerne entspannt zur Ruhe begeben und wohlig dem Schlafe hingeben. Es zeigten sich bereits die ersten Anzeichen von Müdigkeit, obwohl ich erst die Hälfte geschafft hatte.

Historisches Bild von Steinzeugkrügen vor einem Kannenofen aus der Erzählung Kleines Feuer von Roland Giefer
©Museum für Stadtgeschichte

Der immer wiederkehrende Blick ins Feuer verengte die Pupillen zu winzigen Punkten. Die Glut brannte im Gesicht und der Rücken wurde steif durch die heran  kriechende Kälte von draußen. Ab und zu trat man hinaus ins Freie, um einen tiefen Atemzug frischer Nachtluft zu nehmen und Sauerstoff zu tanken. Für den Moment  war das durchaus hilfreich, um wieder einige Minuten zu überstehen. Es war leicht windig und man sah die Wolken vorüberziehen, die ab und an durch eine Lücke den  Mond blitzen ließen. Und wieder verlangte der Feuerschlund nach Nahrung. Aus dem Radio hörte ich den Sprecher nächtliche Grüße senden, die mich mit anderen  Nachtarbeitern solidarisch verband. Ich hörte die drei Uhr Nachrichten und konnte dem Inhalt kaum noch folgen. Wie zu jeder vollen Stunde machte ich wieder einen  Kontrollgang nach oben, aber immer noch war es tiefschwarz im Ofeninnern. Aber man spürte, dass der Ofen langsam in Fahrt kam. Also weiter so gleichmäßig aber in  etwas schnellerem Rhythmus nachlegen. Ich vermied es, auf die Uhr zu schauen, da sich die Zeiger dann noch langsamer drehten. Jetzt bloß nicht einschlafen, dann war alles umsonst.

Mancher unerfahrener Stocher, dem dies widerfuhr, versuchte dann eiligst den Temperaturrückgang wieder aufzuholen, indem er das Feuer viel zu stark auflodern  ließ. Dadurch zerbarsten die untersten Töpfe im Ofen und ganze Stapel konnten dadurch einstürzen. So nahm manchmal eine Katastrophe ihren Lauf…

Wer glaubt, nur Pferde können im Stehen schlafen, der irrt sich. Ich stützte mich jetzt  auf ein vor mir aufrecht stehendes Scheitholz und erlaubte mir ein paar Sekunden die  Augen zu schließen. Im Gegensatz zu Pferden verliert der Mensch beim „stehenden  Schlaf“ jedoch schnell das Gleichgewicht. Vom Sekundenschlaf übermannt kippte  man zur Seite und war augenblicklich wieder hellwach. Es war vier Uhr durch und  ich ging wieder nach oben, um einen Blick ins Schauloch zu werfen. Und siehe da,  das erste schwache Rot war zu erblicken. Für mich war dieser Augenblick auch später immer wieder ein überaus motivierendes Moment. Jetzt hatte ich den Ofen „in der  Hand“. Quasi einem Durchbruch gleich verbreitet sich nun Adrenalin in meinen  Adern. Schnell wieder ans Feuer und den Brand weiter steigern. Die Flammen  schlugen jetzt direkt in die Züge. Die vorher noch rußigen Übergänge waren nun hell  und klar.

Es war fünf Uhr: noch zwei Stunden! Auch draußen wurde es allmählich heller. Mit der Dämmerung ertönte ein erstes Gezwitscher, dann ein zweiter Vogel und weitere folgten, und auf einmal schienen alle Vögel wach zu sein um den neuen Tag mit  einem vielstimmigen Konzert zu begrüßen. Noch einmal trat ich hinaus und nahm  eine tiefe Brise frische Morgenluft. Die Müdigkeit schien überwunden zu sein und  frohen Mutes warf ich Scheit um Scheit in den gefräßigen Feuerschlund. Um sechs  Uhr ging ich noch einmal nach oben, den Fortgang zu begutachten. Die Glut war jetzt auch durch das zweite Schauloch zu sehen. Der nächste Blick galt nun dem  vordersten Schauloch, also gleich hinter der Feuerung. Denn dort ist die Rotglut als Nächstes zu sehen, bis sie sich dann allmählich gleichmäßig im ganzen Ofen verteilte. Ich konnte also mit meinem Ergebnis zufrieden sein und setzte zur letzten Stunde an.

Schon kurz vor sieben hörte ich meinen Onkel herunterkommen. Er hatte seine kleine Wohnung über der Schillstuff. Von dort aus gelangte man ebenfalls über eine  kleine Treppe nach oben zum Ofenhaus. Nun hörte ich, wie er die Steinplatten der Schaulöcher zur Seite schob um zu sehen, wie weit der Brand vorangegangen war.  Anschließend zog er auch die Steine von den Öffnungen der Ofendecke zurück, um den Zug zu erhöhen. Ich merkte sofort, wie der Ofen jetzt das Feuer in sich hinein  sog und nach mehr „Futter“ verlangte. Aber dafür würden jetzt andere sorgen.

Mein Onkel kam nun schnellen Schrittes die Treppe herab in den Schlondes und zeigte ein zufriedenes Gesicht. Er sagte nur „prima“ und drückte mir meinen Lohn in  die Hand. „Nau fahr heim on läch dich hin“ (Nun fahr heim und leg dich hin). Zu Hause angekommen, zog ich die verrauchten Klamotten aus und sprang kurz unter  die Dusche. Ich war gar nicht mehr richtig müde und im Bett kreisten noch die Gedanken, bis ich endlich einschlief. Als ich am späten Nachmittag wieder wach wurde, wusste ich, dass der Brand schon fertig war. Das große Feuer, das Ausbacken und Salzen habe ich in jener Zeit an diesem Ofen nie miterlebt. Manchmal besuchte ich ein paar Tage später, wenn der Ofen ausgesetzt war, die Werkstatt meines Onkels und meiner Tante, um das Brennergebnis zu begutachten und freute mich, wenn der Brand gelungen war. Sechs Jahre lang habe ich bei meinem Onkel „kleines Feuer“ gestocht, bis mir die Gründung meiner jungen Familie, die Vorbereitung auf meine Meisterprüfung und der wöchentliche Wehrersatzdienst beim Technischen Hilfswerk (THW) diese Art von Nebentätigkeit nicht mehr erlaubte. Es fand sich zum Glück ein anderer Stocher…

Glossar

Nachfolgend sind die im Text verwendeten „Fachbegriffe“ kurz erklärt:

Euler (Eulerei)

Die regionale Berufsbezeichnung der Töpfer (von lat. olla = Topf). Den Betrieb nannte man „Eulerei“.

Kannenofen

Spezielle Bauart eines kerami­schen Brennofens für den Salz­brand. Brennöfen ohne Über­dachung bezeichnete man als „freiliegend“.

Kegel (=Segerkegel)

Länglicher, kegelförmiger Stab aus unterschiedlich zusammen­gemischten Keramikrohstoffen, der bei einer genau definierten Brenntemperatur „weich“ wird und umsinkt. Man spricht vom „fallen“ des Kegels. Der so­genannte „Segerkegel“ wurde für die Temperaturmessung in keramischen Brennöfen 1886 von Hermann Seger entwickelt.

Korscherben („Kor“, von koren = auserkoren)

Probescherben. Meist eine rohe Bruchscherbe oder ein kleiner gedrehter Zylinder jeweils mit einem Loch versehen, um ihn mit einer Eisenstange beim Er­rei­chen der Endtemperatur aus dem Brennofen zu ziehen. Wenn der glühende Korscherben beim Abkühlen hell klirrte, war der Ofen fertig „gebacken“ und das Salzen konnte beginnen.

Ofenhaus / Brennhaus

Überdachung und Umbauung eines keramischen Brennofens. (siehe auch Kannenofen)

Salzglasur

Entsteht durch die Zugabe von Kochsalz (NaCl) beim Erreichen der Endtemperatur (ab ca. 1200° C) des „Salzbrandes“. Der im Brennraum entstandene natrium­haltige „Dampf“ verbindet sich mit dem im „Ton­scherben“ ent­haltenen Quarz und bildet an der Oberfläche eine hauchdünne „Glasschicht“ (Natriumsilikat). Diese „Anflugglasur“ ist säure­beständig und lebensmittelecht.

Schillstuff

Vorraum an der Stirnseite eines Kannenofens, von dem aus der Brennraum mit der Ware ein­gesetzt wird. Anschließend wird die Öffnung des Ofens zu­ge­mauert. Diese „Verschluss­mauer“ nennt man „Schill“ = Schild.

Schlondes

Offener überdachter Raum vor den Feuerungsöffnungen (Feuer­schlund) eines Kannen­ofens.

Stochen

Befeuern eines Brennofens mit Brikett oder Holz. Nach dem „Anheizen“ des Ofens unter­scheidet man das „Kleinfeuer“ (Übergang in die „Rotglut“ von ca. 400° bis 650° C), das anschließende „Groß­feuer“ und das „Ausbacken“ (Endphase des Brandes, beim Kannenofen bei ca. 1200° bis 1250° C und anschließenden Salzen).

Stochlöscher

Feuerungsöffnungen eines Brennofens (Kannenofen, Rundofen etc.). (siehe auch Schlondes und Stochen)