13. Dezember 2020| KERAMIK

Kleines Feuer - Teil 3

Eine Geschichte von Roland Giefer

Falls noch nicht gelesen, hier geht`s zu Teil 1 und Teil 2

Er begann sich an die Zeit, als er so alt war wie ich, zu erinnern: „Dumols goof et nach käne Fernseher“ (Damals gab es noch keinen Fernseher), und setzte seine Rede in breitestem Höhrer Platt fort. Weiterhin (jetzt sofort „übersetzt“) erzählte er, dass man sich halt auf der Straße oder dem Dorfplatz traf, und die älteren ihr Feierabendbier in der Kneipe tranken. Aber gegen Ende der Woche brannten dann in  Höhr und Grenzhausen die Kannenöfen.

Das war deshalb so, weil man am  Wochenende am ehesten Aushilfen zum Stochen bekam und man sich sonntags von den Strapazen wieder erholen konnte. Ein Blick über die Dächer genügte, um anhand der Rauchzeichen den nächstgelegenen Schlondes ausfindig zu machen. Dort versammelte man sich, bewaffnet mit ein zwei Flaschen Bier und Tabak und machte es sich, den Möglichkeiten entsprechend, gemütlich. Oft befand sich in solcher „Lokalität“ ein Sofa, so alt, dass dessen Sprungfedern sich bereits sichtbar durchdrückten.

Der Stocher freute sich über die Gesellschaft und vernahm von jedem, der dazu kam, das vertraute „goore“. Man erkundigte sich gegenseitig, wie es so geht und berichtete sogleich das Neueste, das einem auf der Zunge lag: „Häste schon gehürt?“ (Hast du schon gehört?), begann oft die vermeintliche Neuigkeit. „Dat wäs ech dach schon lang“ (Das weiß ich doch schon lange), kam dann die Antwort und gleich warf ein Dritter ein: „Dat woh ower e bessche annerscht“ (Das war aber ein  bisschen anders), und gleich entstand eine ausgedehnte Diskussion über den „Fall“, zu dem jetzt auch noch weitere, bis dahin ungekannte Details hinzukamen.

Am Ende waren alle auf den gleichen Wissensstand gebracht, wenngleich offen blieb, was davon Dichtung und was Wahrheit war. Waren alle Neuigkeiten, die aus Politik, Gesellschaft, Sport oder privatem Bereich stammen konnten, vermittelt, erzählte man sich darüber hinaus gerne mal wieder alte Dorfgeschichten, die im Laufe der Zeit teilweise fantasievoll ergänzt und pointiert wurden. Hauptsache, der Erzähler erhielt von den anderen einen Lacher und die Stimmung erhöhte sich von Stunde zu Stunde.

Historisches Bild von einem Kannenofen aus der Erzählung Kleines Feuer von Roland Giefer
©Museum für Stadtgeschichte

Den Stocher schien das Ganze nichts anzugehen und er legte stoisch seine Scheite ins Feuer.

Ab und an ermahnte er zur vorgerückten Stunde seine Besucher, sich etwas leiser zu verhalten, um den Schlaf der Nachbarschaft nicht zu stören. Aber er wusste, dass sich die Gesellschaft in der Regel gegen Mitternacht auflöste. Nur manchmal blieb noch einer sitzen, der am anderen Morgen nichts vorhatte und resümierte die vorangegangenen Gespräche…

Auch meinem Besucher fielen eine Reihe von Anekdoten ein, die ich aber längst vergessen habe. Es waren die Geschichten von Eulern und Töpfern, die man damals schon hätte aufschreiben sollen. Es waren die oft sehr persönlichen Schicksale der  Menschen in ihrer Zeit, soziologisch betrachtet eine umfassende Quelle der Gesellschaftslehre, mit allen Facetten der Lebens- und Leidensgeschichten. Als das Pfeifchen meines Gastes zum zweiten Mal verglimmte, sage er: „Su, nau wädet fö mech och langsam Zäit“ (So, nun wird es für mich auch langsam Zeit), und erhob sich, von der Kälte etwas steif geworden, von seiner unbequemen Sitzgelegenheit. Er sagte wiederum „goore“ und verschwand in der Dunkelheit…

Historisches Bild von einem Kannenofen aus der Erzählung Kleines Feuer von Roland Giefer
©Museum für Stadtgeschichte

Nun war ich wieder allein. Es war kurz vor Mitternacht und das Feuer flackerte schon etwas heller, da ich die Scheithölzer jetzt ganz in die Feuerung gelegt hatte. Der prüfende Blick ins Stochloch zeigte mir, dass die Übergänge in die Züge am Ende des Feuerrostes immer noch schwarz und rußig waren, was jetzt auch noch vollkommen in Ordnung war. Ich machte jetzt meinen ersten Kontrollgang nach oben zum Ofen. Vom Schlondes aus führte, ein Stockwerk höher, eine Treppe in das darüber liegende Ofenhaus. Hier ragte etwa einen Meter hoch, wie ein überdimensionales Kastenbrot der „Ofenrücken“ hervor. Drumherum befand sich ein einmeterfünfzig breiter Gang, von dem aus später gesalzen wurde. Die kleinen Holzloren waren schon mit Salz gefüllt und die langen Salzlöffel standen bereit. Das Ofenhaus erhob sich über dem Ofen fast zwei Stockwerke hoch, um genügend Raum zu lassen, wenn beim großen Feuer die Flammen fast meterhoch aus den Zuglöchern stiegen. Darüber richtete sich das spitze Giebeldach mit einem offenen Dachreiter auf, der Hitze und Rauch entweichen ließ.

Weiterlesen im vierten Teil