Werkstattgespräch mit Tine Angerer
Tine Angerer mag kräftige Farben und bringt das in ihren großflächig illustrierten Frauenporträts zum Ausdruck. Das Besondere daran? Als Leinwand dienen ihr selbst gefertigte Keramiken. Teller, Tassen, Schüsseln und Co. werden so zur Bühne ihrer Protagonistinnen – frech, bunt, skurril.
Wir haben mit Tine ein unterhaltsames Gespräch in Ihrer Werkstatt geführt. Dabei durften wir erfahren, wie es ist in einer Werkstattgemeinschaft zu arbeiten, sich auf Keramikmärkten zu behaupten und dass ihre Frauenporträts früher alle rote Haare hatten.
Tine Angerer in ihrer Werkstatt
Wie lange lebst du schon in Höhr-Grenzhausen?
Seit 1998
Woher kommst du?
Ich bin im tiefen Westerwald aufgewachsen, in Driedorf. Später bin ich nach Wetzlar gezogen.
Wie bist du schließlich nach Höhr-Grenzhausen gekommen?
Nach dem Realschlussabschluss wollte ich etwas Soziales oder Kreatives lernen, ich habe ein Jahr im Altenheim gearbeitet und bin 1998, mit 17 Jahren hierhergezogen. In Ransbach-Baumbach habe ich dann bei Pfeiffer-Gerhards, einer Keramikmanufaktur, eine Keramiklehre gemacht.
Wusstest du zu diesem Zeitpunkt bereits, dass es in Richtung Keramik gehen sollte?
Ich hätte schon auch gerne Altenpflege gemacht, meine Mutter sagte ich sei zu jung dafür, wenn dann Krankenpflege. Aber ich hatte einen nicht ganz so guten Realschulabschluss, sodass ich nicht viele Auswahlmöglichkeiten hatte. Ich habe vom Arbeitsamt eine Adresse einer Töpferei bekommen. Da wurde ich genommen. Man verdient als Töpferlehrling aber so wenig, meine Mutter hat mich Gott sei Dank unterstützt, dass ich auch hierherziehen konnte.
Wie ging es nach der Lehre weiter?
Nach der Lehre wusste ich noch gar nicht, wo ich hin möchte. Es haben sich alle an der Fachschule beworben, da dachte ich, das mach’ ich auch. Man hat zu den Fachschülern auch immer etwas aufgeblickt. Deren Exponate waren toll und so hatte ich Lust das auch zu machen.
War nach der Fachschule sofort klar, dass du hier bleibst?
Eigentlich wollte ich nie hierbleiben. (beide lachen). Ich fand es mit 17 ganz gruselig hier, man kam nicht so rein, hatte nur mit Keramikern Kontakt.
Hat sich das geändert?
Ja, ich fühle mich total wohl und will gar nicht mehr weg. Wir haben ein kleines Haus, fußläufig zur Werkstatt, ich bleib’ hier. Das hat sich total gewandelt.
Frei illustriertes Gebrauchsgeschirr der Keramikerin Tine Angerer.
In welchem Bereich hast du deinen Abschluss an der Fachschule gemacht?
In der Dekorwerkstatt bei Frau De Nigris.
Anschließend hast du noch am IKKG studiert, wie kam es dazu?
Nach der Fachschule habe ich mich noch nicht getraut, selbstständig zu werden. Ich war kurz arbeitslos gemeldet, aber die wollten mich in irgendwelche Maßnahmen stecken und haben gar nicht verstanden, was ich möchte, nämlich einen Job, um mich nebenbei selbstständig zu machen. So habe ich mich am Institut für künstlerische Keramik und Glas beworben und bin auch genommen worden. Mein Traum war es eh schon immer, Kunst zu studieren.
Jetzt bist du aber wieder im Handwerk gelandet. War dir das damals schon bewusst oder holt einen eher die Realität wieder ein?
Um als Künstlerin von der eigenen Arbeit leben zu können, ist schon eine andere Sache und ich bin nicht so selbst darstellerisch. KünstlerInnen müssen sich viel präsentieren, du brauchst Galerien und jemand muss dich entdecken. Ich habe gemerkt, dass das nicht meins ist, so konzeptionell zu sein und immer so viel darüber zu reden, was ich mache.
Ich fand die Zeit am Institut dennoch toll und habe jede Menge gelernt. Ich habe mich aber letztendlich dazu entschieden nur den Bachelor zu machen, keinen Master mehr. Nach 9 Jahren Ausbildung war das dann genug. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt auch schon eine Werkstatt in der ehemaligen Merkelbach-Manufaktur. Zuvor, noch zu Fachschulzeiten, hatte ich einen Tisch in der Werkstattgemeinschaft „Trialog“ zusammen mit Susi Schmidt und Verena Skirde (beide Kolleginnen aus Höhr-Grenzhausen). Das wurde damals aber irgendwann verkauft und das Keramik Kasino (mittlerweile aufgelöst) entstand. Susi hat daraufhin eine Werkstatt gesucht und wir haben uns zusammen einen Raum in der Merkelbach-Manufaktur angeschaut. Zu dieser Zeit wurde dort noch produziert, also die Öfen waren in Betrieb. Als die schließlich aufgehört haben, durften wir uns Drehscheiben und anderes Equipment nehmen, das war natürlich super als Einstieg, wir mussten keinen Kredit aufnehmen, um uns selbstständig zu machen.
Ihr wart zunächst zu dritt, schon unter dem Label CeraMix?
Damals waren wir noch unter dem Namen „Kle“ zu finden, CeraMix kam später. Zunächst haben wir eine gemeinsame Keramiklinie produziert und gingen damit auch mal auf einen Weihnachtsmarkt. Es hat sich mit der Zeit aber herausgestellt, dass wir das so nicht wollen und dass jeder Seins machen möchte. Auch hat sich die Konstellation geändert. Einige sind gegangen, manche sind noch stille Mitglieder, neue kamen dazu. Aktuell sind wir Arwed Angerer, Kathrin Bachmann, Grit Uhlemann. Susi Schmidt brennt bei uns die Öfen, hat aber ihre Werksatt hinter dem Cafe Libre.
Ist es dir wichtig, in einer Gruppe zu arbeiten? Oder ist das auch mal anstrengend?
Mit dem Alter kommt manchmal der Wunsch auf, etwas Eigenes zu haben. Bei uns ins kleine Haus würde aber keine Werkstatt passen und alles wäre ständig dreckig. Außerdem finde ich es gut, wenn Werkstatt und zu Hause getrennt bleiben, damit man auch rauskommt. Ich bin nicht so extrovertiert, da ist es gut in einer Gruppe zu sein, sodass man mit jemandem reden kann, wenn man Probleme hat, seien es keramische Probleme oder auch so. Man kann sich die Öfen teilen und zusammenarbeiten, gerade auch für Veranstaltungen zieht man an einem Strang. Wie im Namen CeraMix schon anklingt, sind wir sehr wild zusammengewürfelt und alle sehr unterschiedlich. Aber man respektiert sich in seiner Unterschiedlichkeit und dann funktioniert das.
Ihr seid dann ja zu viert in einem Raum, oder?
Ja, aber jeder hat seine Koje und zahlt anteilsmäßig Miete, je nach Größe. Dass alle mal gleichzeitig in der Werkstatt ist, kommt nur selten vor. Dadurch funktioniert das gut.
Wusstest du, dass du Geschirr machen möchtest oder warst du erst mal auf der Suche, in welche Richtung du arbeiten möchtest?
Ich war nicht so auf der Suche. Ich habe gesehen, wie Kollegen arbeiten und dachte das könnte doch auch was werden. Ich mache neben dem Geschirr auch Figuren und Wandarbeiten. An sich bin ich nicht so der Geschirrkeramiker, mir kommt es eher auf die Malerei darauf an. In der Lehre lag der Fokus auf dem Handwerk, ich habe aber vor allem gerne gemalt. In der Fachschule konnte ich das gut miteinander kombinieren.
Wie kommt es dazu, dass du vor allem Frauengesichter malst?
Das kommt aus der Fachschulzeit, da habe ich viel Akt-Frauen gemalt. Anfangs habe ich auch Frauen auf kleinen Tassen gemalt. Durch die Märkte wurde ich dann genannter, was das Malen von nackten Frauen angeht. Schließlich sind vor allem Frauengesichter draus geworden.
Beschränkst du dich hierbei nur auf die Keramik?
Malerei wäre natürlich auch was, aber ich komme kaum mehr zum Zeichnen, neben der Keramik. Der Einstieg in die Keramik war anfangs sehr schwer. Beim ersten Markt habe ich nur ein Schälchen verkauft und das ganze Wochenende gefroren, das war frustrierend. Das hat mindestens 5 Jahre gedauert, bis ich mal die Früchte ernten konnte.
Die Keramiken von Tine werden im lederhartem Zustand mit Engoben bemalt.
Probierst du dich schon mal mit anderen Dekoren?
Männer und Hunde kann ich nicht (lacht). Es kommen unterschiedliche Tiere dazu, die Papageien zum Beispiel, andere Motive fallen weg. Wenn man alte Stücke von sich betrachtet, bekommt man die Krise. Anfangs hatten alle Frauen rote Haare und jetzt haben sie schwarze.
Bestimmt das mitunter auch die Nachfrage?
Es ist schon immer wie Lotto spielen, wenn man auf Märkte fährt. Während Corona konnte ich dann wieder etwas freier und größer arbeiten, da gab es zum Beispiel diese Projektstipendien, das hat mir sehr gutgetan.
Ist dabei etwas Neues entstanden?
Ich habe mich mit Renaissance-Malerei beschäftigt, dazu abfotografierte Dinosaurier meines Sohnes gesetzt und das wiederum keramisch umgesetzt, das hat einfach Spaß gemacht. Ich würde am liebsten in diese Richtung weiterarbeiten, dabei ich habe wirklich Feuer gefangen. Auch habe ich mich mit Vögeln beschäftigt, wie sehen die aus, was machen sie für Laute …
Was treibt dich an, weiterzumachen?
Das Geld (lacht). Nein, ich habe nicht so große Ziele, es sind eher kleine.
Was sind deine Ziele für die Zukunft, würdest du gerne etwas verändern?
Ich habe gerade ein bisschen Angst vor den Märkten. Mit Corona ist die Routine etwas verloren gegangen und es ist auch immer eine unheimliche Schlepperei. Ein Ziel ist es daher auch mehr vor Ort zu machen. Man wird ja nicht jünger, wie lange schafft man das noch mit den Märkten? Bei Veranstaltungen sind die Leute immer ganz hungrig auf Keramik, aber das fehlt im Alltag. Deswegen haben wir jetzt auch einen neu entstandenen Kursraum. Der wird zwar meistens von meiner Kollegin Grit Uhlemann genutzt, aber durch die Kurse kann man mehr Leute auf die Keramik hier im Ort aufmerksam machen. Es sind auch Kinderkurse angedacht. Bislang haben mein Mann Arwed und ich uns immer einen Marktstand geteilt und damit auch die Standgebühren, jetzt haben wir ein Kind und daher fährt meistens Arwed die Märkte.
Stück für Stück, mit vielen Handgriffen, werden die Arbeiten liebevoll fertiggestellt. Jedes ein Unikat
Nun noch ein paar technische Fragen, wie brennst du deine Stücke?
Bei 1240 °C mit Westerwälder Steinzeug, dicht brennend, im Elektroofen.
Welche Aspekte deiner Arbeit gefallen dir nicht so sehr?
Ich henkel nicht so gerne, ansonsten sind es eher Kleinigkeiten, die mich nerven. Ich drehe zum Beispiel sehr gerne, aber dann nervt es einen, wenn’s mal nicht so rund läuft.
Mal ein Perspektivwechsel, warum sollte jemand deine Keramik kaufen?
Um sich zu freuen und damit das Leben ein bisschen bunter zu machen.
Wie lange arbeitest du an einem Stück?
Ich schaffe vielleicht so 20-30 Tassen pro Woche – vom Drehen, also rohen bis zum fertigen Stück. Das Bemalen dauert sehr lange. Aber so genau kann ich das nicht sagen.
Gibt es Vorbilder oder Kollegen, die du besonders schätzt?
Frau De Nigris, frühere Dozentin an der Fachschule war für mich ein Vorbild und meine Kollegin Barbara Groebel.
Kannst du dir vorstellen, etwas ganz anderes zu machen?
Als ich mit 17 die Krankenpflege gemacht habe, hat mich das sehr erfüllt. Später, während der Keramiklehre nur mit Ton zu arbeiten, hat mir auch ein bisschen die Verantwortung gefehlt und das Menschliche. Krankenpflege ist ein total harter Beruf, aber wenn ich das mit der Keramik nicht mehr machen könnte, dann könnte ich mir das vorstellen. Ich hätte auch gerne Modistin, also Hutmacherin, gelernt. Aber das ist ja auch eine brotlose Kunst.
Die Abschlussfrage, was bedeutet der Standort Höhr-Grenzhausen für dich?
Das ist mein Lebensort und für mich ist es wichtig an dem Ort zu sein, wo die Tradition der Keramik herkommt … und na ja, ich lebe gerne hier.
Auch interessant:
Werkstattgespräch mit Dörthe Ries
Dörthe Ries ist bekannt für Ihr Rosendekor, wir haben Sie…
Keramikporträt der Keramikwerkstatt Meyer & Matschke
Interview mit Maria Meyer & Ute Matschke
Werkstattgespräch mit Alina Penninger
Alina Penninger formt liebevoll handgefertigtes Geschirr,…