Das Keramikmuseum erwirbt eine Sammlung von Dr. Beate Dry-von Zezschwitz

Die großen Tonlagerstätten und ausgedehnten Holzvorkommen des Westerwaldes führten dazu, dass diese Region als „Kannenbäckerland“ Bekanntheit erlangte. Durchziehende Fernhandelswege, wie die Salzstraße und die Nähe zum Rhein als eine der Hauptverkehrsadern Europas, verhalfen dem Westerwälder Steinzeug zu einer weltweiten Erfolgsgeschichte. Die größten künstlerischen Höhepunkte erlangte das Kunsthandwerk während des Barocks und des Jugendstils. 

Um 1900 forderte der Westerwälder Landrat die Regierung dazu auf, international namhafte Künstler zu engagieren, damit das Töpferhandwerk nicht den Anschluss an die neue Zeit verpasse. So kam 1901 der belgische Universalkünstler Henry van de Velde nach Höhr-Grenzhausen und initiierte dort eine radikale Stilwende. Auch der Hamburger Peter Behrens lieferte Entwürfe und verpasste dem traditionellen grau-blauen Dekor eine modernere Gestaltung. Einige Firmen, wie Simon Peter Gerz I, Merkelbach & Wick oder Reinhold Merkelbach knüpften selbst erfolgreich Kontakte mit renommierten Kunstschaffenden, wie Richard Riemerschmid, um nur einen zu nennen.

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Frau Dr. Beate Dry-von Zezschwitz aus München hat eine einzigartige Sammlung von Westerwälder Steinzeug aus dieser kurzen, aber bedeutenden Zeit des Jugendstils, zusammengetragen. Das Konvolut umfasst seltene Objekte sämtlicher berühmter Designer, wie Henry van de Velde, Peter Behrens, Albin Müller, Paul Wynand oder Richard Riemerschmid. Auch Einzelstücke aus der Fachschule, Kleinplastiken des Barlach-Schülers Hans Wewerka oder Gefäße von der van de Velde Schülerin Erica von Scheel sind hier als herausragende Beispiele der Sammlung zu erwähnen. Diese ist allumfassend; von jeder während des Jugendstils aktiven Werkstatt und Firma sind Objekte vorhanden, darüber hinaus viele Unikate. Das macht sie gleichsam zu einer keramischen Zeitkapsel. 

Dr. Dry-von Zezschwitz leitete mit ihrem Mann Dr. Graham Dry jahrelang ein Auktionshaus in München. Sie war die erste Wissenschaftlerin, die sich mit dieser besonderen Blütezeit des Kannenbäckerlandes beschäftigte, was 1993 in einer Dissertation an der LMU mündete. Diese Publikation basierte auf ihrer eigenen Sammlung und gilt bis heute als Standardwerk. Sie besuchte die Region mehrmals und hatte auch noch die Gelegenheit, persönlich mit Augenzeugen und Beteiligten zu sprechen. 

Insgesamt handelt es sich hier um 1.305 Objekte, die fast alle ausführlich dokumentiert worden sind. Als besonders wertvoll ist auch das dazugehörende Archiv erwähnenswert: 32 Ordner mit Dokumenten, Musterkatalogen und Interviews, sowie Kopien von makulierten Registerakten aus dem Landeshauptarchiv. Viele dieser Schriftstücke sind der Fachwelt bis heute nicht zugänglich gewesen.

Inventarisierungsprojekt „DING? ZEUG? WERK?“

Der Erwerb der Sammlung wird vom Keramikmuseum zum Anlass genommen, das Depot der historischen Keramik neu zu konzipieren. Die Inventarisierung der gesamten Kollektion wird öffentlich in der Dauerausstellung unter dem Namen „DING? ZEUG? WERK?“ erfolgen. Dabei können Besucher mitverfolgen, wie ein solcher musealer Ordnungsprozess abläuft und sich gleichzeitig über die Besonderheiten der Sammlung informieren. Daraus ergibt sich für das Museum eine einzigartige Möglichkeit, mit den Bürgern aus dem Kannenbäckerland ins Gespräch zu kommen. Sie werden im Zuge des Projekts dazu eingeladen, ihr Privatwissen über die heimischen Firmen, deren Mitarbeiter und die Objekte zu teilen.

Mit dem Projekt erhoffen wir uns einen öffentlichen Diskurs über die Kontextualisierung der Objekte. Wie ordnen wir unsere Geschichte und wie verhält sich das Einzelstück zum Kollektiv? Die Fragen nach Zugehörigkeit und Singularität spielen eine wichtige Rolle bei der Bewahrung und Auswertung unseres industriellen Kulturerbes.

Die Sammlung konnte dank finanzieller Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder, sowie der Gesellschaft der Keramikfreunde e.V. angekauft werden.

Fotograf: Helge Articus

Keramikmuseum Westerwald

Deutsche Sammlung für historische und zeitgenössische Keramik
Lindenstraße 13
D – 56203 Höhr-Grenzhausen

Tel.: +49 – (0) 2624 94 60 10
Fax: +49 – (0) 2624 94 60 120

E-Mail:
Web: www.keramikmuseum.de

Museumsleitung: Dr. Nele van Wieringen